Als Frau hinter den geschlossenen Grenzen Marokkos
Allein als Frau bei der Grenzschließung Marokkos
„Hohe Temperatur hilft gegen Corona“ – meine Zugehfrau Hadischa bügelt übers gemachte Bett – „Insha Allah – und den Rest übernimmt Gott“
Einen Teil meiner vorlesungsfreien Zeit verbringe ich in Marokko, um junge Menschen fit für einen Job in ihrem Heimatland zu machen. So auch dieses Jahr, keine Abreise-Warnung vom Auswärtigen Amt. Alles bestens vorbereitet.
Plötzlich fällt bei meiner Arbeit in Essaouira die lang geplante Expertenrunde aus – Corona hat das Königreich mit knapp 40 Millionen Einwohnern erreicht.
Der erste CORONA-Fall ist am 2. März in Casablanca bestätigt: Ein aus Italien zurückgekehrte Marokkaner. Am 13.März zwei weitere Fälle: Ein aus Spanien kommender 39jähriger Marokkaner sowie eine 64jährige Touristin aus Frankreich.
„Ein Ausmaß der Seuche wie etwa in Deutschland überfordert unser Gesundheitssystem“, erklärt mir die im gleichen Riad lebende Vermieterin Nadia, „wir haben in Marokko nur 700 Intensivbetten und einfach Panik, dass Corona auf unser schwaches Gesundheitssystem trifft.“
Per SMS teilt Lufthansa mir am14.3. mit, dass mein Flug für den Folgetag storniert sei. Keine weitere Auskunft. Lufthansa nicht erreichbar. Drei Stunden im Auto nach Marrakech zum Flughafen. Ohne Erfolg, Lufthansa hat dort keine Vertretung – wie mir die freundlichen Beamten mitteilen.
Gegenentwurf zur marokkanischen Sanftheit und Professionaliät: Prügelnde schreiende Franzosen und Spanier, die sich um die letzten 4000-Euro-Flüge nach Madrid streiten, über die Schalter klettern, die geduldigen Mitarbeiter handgreiflich bedrohen. Bin froh über Maske und Handschuhe in dieser drangvollen Enge und trete meine Rückfahrt zum Atlantik an. Erhalte ein weiteres Lufthansa-SMS: Der auf den 18.3. verschobene Flug fällt aus.
Im Dorf geht alles sehr schnell: Geschlossen sind Restaurants, Cafés, Schulen. Die Villen und Hotelzimmer der Europäer verlassen. Die meisten Touristen campieren am Flughafen, um den ersten Platz beim Ausfliegen zu ergattern – der pittoreske Ort am Atlantik stirbt aus.
Einwohner statt Ökonomie, so hat der König entschieden und den Entschluss zackig über das ihm unterstellte Innenministerium durchsetzen lassen. Der König priorisiert – innerhalb von zwei Tagen.
Erledigt.
Im Dorf geht alles sehr schnell: Geschlossen sind Restaurants, Cafés, Schulen. Die Villen und Hotelzimmer der Europäer verlassen. Die meisten Touristen campieren am Flughafen, um den ersten Platz beim Ausfliegen zu ergattern – der pittoreske Ort am Atlantik stirbt aus.
Einwohner statt Ökonomie, so hat der König entschieden und den Entschluss zackig über das ihm unterstellte Innenministerium durchsetzen lassen. Der König priorisiert – innerhalb von zwei Tagen.
Erledigt.
Gottvertrauen, Nächstenliebe, Solidarität und Anstand – Kernelemente der arabischen Kultur- sie kommen jetzt zum Tragen. Liebevoll kümmert sich die Dorfgemeinschaft um die große blonde Frau. „Du gehörst schließlich zu unserer Familie“, lächelt der Arabischlehrer, der eine Tüte mit den frischen Sachen auf dem Arm trägt, „hier bist Du nicht allein“.
Normalität in der Katastrophe: Auch in der windigsten Ecke Afrikas gilt es, Struktur in den Tagesablauf zu bringen:
Arabisch Unterricht auf Abstand, soziale Kontakte mit den Herzens-Menschen in der Heimat, Beten, Lesen, mit schönen Dingen beschäftigen, am Atlantik allein: Ein Zustand, der Konzentration, Selbsterkenntnis und den Einblick ins Innere fördert. Mal über den Sinn des Lebens nachdenken. Vielleicht sind die Marokkaner mehr an den Nicht-Normalzustand gewöhnt?Ist es ihr unerschütterlicher Glaube an Gott, dass sie nicht so schnell in emotionale Verwirrung geraten?
Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben und geborgen. Kollegen im deutschen Ministerium, beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, beim Auswärtigen Amt, mein Bruder setzen sich derweil für meine Rückreise ein.
Von der Lufthansa erhalte ich ein SMS, dass der von ihnen auf den 18.3.umgebuchte Flug storniert ist.
Nicht erreichbar: Deutsche Botschaft inkl. Website.
Einzig mein Düsseldorfer Reisebüro Klüger, erfahren in Krisensituationen weltweit, bleibt – rund um die Uhr – für mich am Ball.
Von ihnen dann die Information, dass Lufthansa umgebucht hat auf den 19.3.: Mit der British Airways nach London, anschließend mit der Eurowings nach Hause.
Zum letzten Mal ins bekannte Marrakech-Touristen-Panik-Chaos, der Abflug verzögert sich um 2 Stunden, die armen Marokkaner geben zwar alles, verfügen aber nun einmal nicht über genügend Infrastruktur, um so
viele Flugzeuge auf einmal abzufertigen.
Fröhliche Engländer im Flieger, die der Corona-Krise mit Geselligkeit trotzen, ängstigen mich.
Der Anschluss-Flug in London ist weg. Weder British Airways noch Lufthansa fühlen sich zuständig, um 22h ist der Riesen-Heathrow-Airport totenstill. Auf der Suche nach einer Lösung, von Terminal zu Terminal,
jedesmal 20 Minuten mit einem Geisterbus, finde ich keine Hilfe.
Gegenentwurf zu Marokko.
22.30h ein letzter offener Schalter: Ja, die Eurowings hätte noch Business-Flüge für 440€ für den kommenden Morgen zu verkaufen.
Nein, nicht am Schalter – nur im Internet.
Reisebüro Klüger übernimmt auch das in dieser Nacht.
Das Airport-Hotel ist voll, mit dem Taxi zu einem anderen, 5.30h wieder
am Airport – der Flug ist wieder einmal storniert.
Nein, man könne am Schalter nicht umbuchen, nur über eine 180er- Nummer, hier hilft dann endlich eine freundliche Frau Jack.
Landung 13h in Köln-Bonn, auch der Koffer hat den Weg aus britischen Flughafen-Katakomben aufs deutsche Gepäckband gefunden.
Wegen eines Anschlags fährt der ICE Richtung Düsseldorf nicht.
In diesem Augenblick die Nachricht: Marokko ruft den Notsstand aus, ab sofort alle Grenzen dicht.
Bin im Rheinland mit dem einen Gedanken: Nicht die Stärksten haben in der Menschheitsgeschichte überlebt, sondern die Freundlichsten.
Edda Pulst widmet sich als Professorin für Digitalisierung leidenschaftlich der Berufsfähigkeit ihrer Studenten. Hier erzählt sie mit großer Offenheit und Humor von dem, was sie antreibt und bewegt. Sie nimmt den Leser mit in ihre Wissenswelt.